
Die KI, der die Kinder vertrauen
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Beginnen wir diesen Text mit einem kleinen Experiment: Stellen Sie sich eine künstliche Intelligenz (KI) vor. Wie sieht sie vor Ihrem inneren Auge aus? Wie ein Chatfenster? Wie ein menschenähnlicher Roboter? Wie Arnold Schwarzenegger? Oder gar wie – Barbie?
Aktuell fällt die Pionierin des Veneers-Grinsens in dieser Aufzählung aus der Reihe. In Zukunft aber könnte sie sehr viel selbstverständlicher darin auftauchen. Denn das Unternehmen hinter der berühmtesten Puppe der Welt kooperiert mit dem Unternehmen hinter der berühmtesten künstlichen Intelligenz der Welt: Barbie-Bauer Mattel und ChatGPT-Erfinder OpenAI haben vergangene Woche eine strategische Partnerschaft angekündigt.
Zugegeben, die Pressemitteilungen zu dieser Kooperation sind so dünn wie die Taille der Puppenschönheit: Gemeinsam wollen die Firmen "KI-gestützte Produkte und Erlebnisse unterstützen, die auf den Marken von Mattel basieren", heißt es seitens der Barbie-Firma. So wolle man die "Magie von KI" altersgerecht in Spielerfahrungen von Kindern einweben. OpenAI schreibt, Mattel versuche sich an einer Neuerfindung dessen, wie Fans die "lieb gewonnenen Marken" des Unternehmens neu erleben und mit ihnen interagieren können. Das erste gemeinsame Produkt will man im Laufe des Jahres vorstellen. Was es sein soll, wird nicht verraten.
Wer eine Puppe mit einer KI zusammenzählt, landet natürlich schnell bei einer mit ChatGPT-Stimme sprechenden Barbie. Es wäre aus rein wirtschaftlicher Sicht die perfekte Symbiose: Mattel könnte ein Spielzeug anbieten, das Kinderträume erfüllen dürfte – ein menschenähnliches Plastikding, mit dem man reden kann wie mit der besten Freundin, aber mit weniger Streitpotenzial. OpenAI wiederum käme womöglich an die Daten einer Zielgruppe, die in den Trainingsdaten von aktuellen Sprachmodellen noch ziemlich selten vorkommt: die von Kindern.
Zwar betonen die Firmen, dass man einen Schwerpunkt auf Privatsphäre und Sicherheit legen wolle. Aber wer sich schon etwas länger mit vernetzten Spielzeugen befasst, der weiß, dass die Sorgen von IT-Sicherheits- und Datenschutzexperten leider meist ziemlich berechtigt sind.
Aus Sicht kapitalistischer Silicon-Valley-Investoren aber dürfte OpenAIs Kooperation mit Mattel eine clevere Allianz sein: Wer wissen will, welche Use-Cases künstliche Intelligenz abseits von gläsernen Büros im Alltag haben kann, der muss in die Kinderzimmer. Denn dort interagieren die Nutzerinnen und Nutzer von morgen.
Der erste Kontakt mit einer Art von, nun ja, humanoiden Robotern
Hinter der Ankündigung steckt daher eine Frage, die weit über Barbie (oder ein anderes Mattel-Spielzeug) hinausgeht. Nämlich die, wie unsere Kinder mit künstlicher Intelligenz aufwachsen werden. Schon Alexa, die KI-Stimme von Amazon, die noch in einer schwarzen Rolle daherkam, schürte viele Ängste bei Eltern, Wissenschaftlern und Technikpessimisten: dass Kinder die Aussagen nicht hinterfragen, nur noch im Befehlston sprechen lernen, dass sie keine komplizierten Fragen mehr stellen, dass sie weniger empathisch sind, weniger kritisch denken, dass Nutzer generell Frauen nur noch als Dienstmagd wahrnehmen.
Was, wenn eine solche Stimme nun auch noch mit sympathischem Barbie- oder Barney-Lächeln daherkommt? Auch wenn die KI-Spielzeuge technisch erst einmal vermutlich vergleichsweise simpel sind, nicht gleich alle Fragen beantworten werden, die ChatGPT im Chatfenster ausspucken würde: Es könnte der erste Kontakt mit einer Art von, nun ja, humanoiden Robotern oder zumindest humanoid wirkenden Gegenständen sein, den Kinder und womöglich auch ihre Eltern haben.
Technikpessimistisch könnte man nun sagen: Wer täglich mit einer Puppe spricht, wird die Technologie vielleicht noch eher vermenschlichen, wird ihren Antworten womöglich eher glauben, egal, ob sie stimmen oder nicht, wird eher eine parasoziale Beziehung à la Her mit ihr aufbauen. Und wer sich die aktuellen Pisa-Tests anschaut, der möchte womöglich nicht riskieren, dass eine Generation ihre Aufmerksamkeit der KI schenkt statt dem Erwerb von Lese- und Mathekenntnissen.
Nur beäugen Menschen bekanntlich jede neue Kulturtechnik kritisch. Die Generation Z muss sich anhören, das Smartphone mache sie dumm, und überraschenderweise strömen viele jetzt trotzdem erfolgreich auf den Arbeitsmarkt. Die Millennials vor ihnen mussten sich für ihre Videospiele rechtfertigen. Den Babyboomern suggerierte man, dass Comics fürchterlich für sie seien. Und ja, selbst Büchern stand man einst kritisch gegenüber.
Mal ehrlich: Bisher ist noch jede Generation mit jeder neuen Kulturtechnik, mit jeder neuen Technologie klargekommen. Künstliche Intelligenz wird nicht mehr weggehen, nur weil Erwachsene glauben, dass sie "Gefahren birgt". Kinder werden damit in Kontakt kommen.
Seit Jahren fragt sich die Tech-Welt, was nach dem Smartphone kommt. OpenAI hat erst vor wenigen Wochen für 6,5 Milliarden Dollar die Firma des Ex-Apple-Designers Jony Ive gekauft, damit dieser ein KI-Gerät entwickelt.
Vielleicht ist das aber langfristig gesehen komplett überflüssig, weil die Kinder von heute ihre KI-Spielzeuge mit ins Erwachsenenalter nehmen. Wer weiß? Statt Smartphones stehen dann in 20 Jahren sprechende Barbies, Barneys, Paw-Patrol-Hunde und Batmans auf Büro-Schreibtischen und organisieren die Termine ihrer Besitzer. Was KI-Zukunftsvisionen angeht, wäre es zumindest nicht die schlechteste Variante.