
Im Weltraum hört dich jemand schreien
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"Sieh dich an, Hacker: eine erbärmliche Kreatur aus Fleisch und Knochen, die keuchend und schwitzend durch die Gänge läuft." Ja, hallo auch, und danke für die Erinnerung, dass es gerade echt heiß ist und ich mir meines vergänglichen, klebrigen Körpers bei jedem Gang zur Küche in der aufgeheizten Dachgeschosswohnung bewusst werde. Jedenfalls: Ich wurde lange nicht mehr so schön herablassend am Anfang eines Videospiels begrüßt. 25 Jahre lang, um genau zu sein.
Im Sommer 1999 erschien System Shock 2, das heute völlig zu Recht als Klassiker der Videospielgeschichte gilt, auch wenn es sich damals erschreckend schlecht verkaufte. Der Nachfolger des fünf Jahre zuvor veröffentlichten System Shock beeindruckte mit seiner Mischung aus Rollen-, Horror- und Actionspiel, Cyberpunk, Leveldesign, Atmosphäre und damals revolutionärer Erzählstruktur – und einem der besten Bösewichte überhaupt.
In den folgenden Jahren war es der Community zu verdanken, dass man System Shock 2 überhaupt auf modernen PCs spielen konnte, denn das Spiel hatte große Kompatibilitätsprobleme mit neueren Windows-Versionen, dazu kamen Streitigkeiten zwischen den Rechteinhabern, wodurch das Spiel zwischenzeitlich gar nicht offiziell verfügbar war.
Jetzt erst erscheint mit System Shock 2: 25th Anniversary Remaster die längst überfällige offizielle Neuauflage, an der das kleine Studio Nightdive seit mehreren Jahren arbeitet. Die Überarbeitung bezieht sich im Wesentlichen auf die Grafik, das Spiel an sich ist das von früher. Erstmals wird es aber neben dem PC auch für Playstation und Xbox verfügbar sein; die Konsolenversionen sollen in den kommenden Wochen erscheinen. Dass das Remaster trotz seines Namens streng genommen zum 26. Geburtstag herauskommt – geschenkt. Zeit ist relativ, im Weltraum erst recht.
Womit wir dann mittendrin wären. Die Spielerinnen und Spieler schlüpfen, wie bereits in System Shock, in die Rolle eines namenlosen Hackers, der ohne Erinnerung auf dem Raumschiff Von Braun aufwacht, das gerade eine Mission auf dem weit entfernten Planeten Tau Ceti V hinter sich hat. Eine Mission, die gehörig schiefging, denn zum Start des Spiels befindet sich die Von Braun in einem desolaten Zustand. Alien-Menschen-Hybride, mörderische Versuchsäffchen und Sicherheitsroboter laufen durch die Gänge, aus einigen Rissen krabbeln Würmer, der Großteil der Besatzung ist tot, und der Bordcomputer macht seltsame Ansagen. Der Hacker muss sich durch die Gänge des riesigen Raumschiffs schlagen, um zu retten, was zu retten ist.
Die "System Shock"-Spiele setzten Maßstäbe
Schon 1999 war die Handlung klassisches Science-Fiction-Futter, inspiriert nicht nur vom Vorgänger, sondern auch von Filmen wie Alien und 2001: A Space Odyssey. Doch entscheidend für den Erfolg unter den Kritikerinnen und Kritikern war weniger der Inhalt, sondern dessen Darstellung.
Wie der erste Teil kommt System Shock 2 gänzlich ohne Dialog aus. Ohne Vorwissen muss sich der Protagonist mit Informationen aus zweiter Hand behelfen. Mithilfe von in der Welt verstreuten Hinweisen und Audio-Logbüchern, die verschiedene Crew-Mitglieder hinterlassen haben, ergibt sich nach und nach eine nicht perfekte Rekonstruktion der Ereignisse der vergangenen Tage bis hin zur Gegenwart. Mit dieser metatextuellen Erzählweise haben die System-Shock-Spiele neue Maßstäbe gesetzt, die der Entwickler Ken Levine später in seiner BioShock-Serie weiter perfektionierte, inklusive einiger überraschender Wendungen innerhalb der Story.