
Die digitale Dunkelheit
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Als in der Nacht zum 13. Juni 2025 Raketen auf Teheran niedergingen und der offene militärische Konflikt zwischen Israel und dem Iran begann, verdunkelte sich nicht nur der Himmel. Unmittelbar nach Beginn der Kampfhandlungen verlangsamte sich die Netzverbindung im Iran spürbar, der Zugang zu ohnehin bereits blockierten Plattformen und Websites wurde schwieriger. Am 18. Juni kappte die Regierung die Verbindung zur Außenwelt nahezu vollständig. Über 72 Stunden hinweg lebten 91 Millionen Menschen in einem digitalen Vakuum: kein WhatsApp, kein Google, keine E-Mails, kein VPN – kein Kontakt zur Welt.
Es war der gravierendste Internet-Shutdown in der Geschichte der Islamischen Republik – und er ist bis heute nicht vollständig aufgehoben. Die Netzwerkkonnektivität liegt derzeit bei lediglich 20 Prozent des regulären Niveaus. Die Organisation NetBlocks, die globale Internetverbindungen überwacht, registrierte zwischen dem 18. und 21. Juni nahezu keinen Datenverkehr zwischen dem Iran und dem Ausland. Selbst in der repressiven Vergangenheit des Landes, etwa während der Proteste im November 2019 oder der "Frau, Leben, Freiheit"-Bewegung im Jahr 2022, war der digitale Blackout nie so umfassend. Damals blieb, anders als heute, zumindest der eingehende Datenverkehr bestehen.
Offiziell begründete das iranische Kommunikationsministerium die Abschaltung mit dem Schutz der Bevölkerung vor israelischen Cyberangriffen. Tatsächlich gab es in den Tagen zuvor Angriffe auf Banken, Regierungsserver und militärische Systeme.
Megaprojekt "Nationales Internet"
Der Cyberkrieg zwischen dem Iran und Israel ist indes weitaus älter als diese neue Eskalation. Ein früher Höhepunkt war der Angriff auf die iranischen Zentrifugen in Natans im Jahr 2010, der das Atomprogramm des Landes um Jahre zurückwarf. In der Folge beschloss die Führung in Teheran, die digitale Infrastruktur gegen ausländische Angriffe zu sichern.
So entstand das Megaprojekt des sogenannten "Nationalen Internets". Im Kern handelt es sich um ein landesweites Intranet, abgeschottet von der Außenwelt. Das nationale Netz soll immer dann aktiviert werden, wenn die politische Führung es für notwendig hält – das ist jedenfalls die Idee. Einige Beobachter befürchten jedoch, dass dieser Ausnahmezustand zur Regel werden könnte und der Schalter womöglich nie wieder umgelegt wird, um das Land dauerhaft vom offenen Netz abzuschneiden. Erstmals kam es während der Proteste im Jahr 2019 zum Einsatz. Ziel war es, die Mobilisierung der Demonstrierenden zu erschweren und die Verbreitung von Bild- und Videomaterial zu unterbinden. Doch die Blockade hielt länger an als die Proteste selbst – offenbar, um das nationale Netz zu testen und Schwachstellen zu identifizieren.
Azadeh Akbari, Assistant Professor für Digitale Transformation an der Universität Twente, sagt: "Seit 2019 laufen alle internationalen Verbindungen über einen einzigen Knotenpunkt. Der Staat hat die Infrastruktur vollständig zentralisiert – das erleichtert die Kontrolle und ist zugleich Ausdruck autoritärer Macht."
Das "Nationale Internet" wurde maßgeblich unter dem früheren Kommunikationsminister Mohammad-Javad Azari Jahromi aufgebaut, einem ehemaligen Geheimdienstler. Es soll eine autarke Infrastruktur bieten, mit inländischen Suchmaschinen, Messengern, E-Mail-Systemen und Online-Banking – angelehnt an das chinesische Modell.
Im aktuellen Konflikt wurde dieses Netz erneut aktiviert. Mit wenigen Ausnahmen blieben viele Onlinedienste funktionsfähig. Der Iran hat für nahezu jeden Bedarf eigene Lösungen entwickelt, darunter einen heimischen Fahrdienst als Ersatz für Uber und einen nationalen Onlinemarktplatz à la Amazon. Was fehlt, sind jedoch soziale Netzwerke und Messengerdienste. Zwar existieren iranische Messenger-Apps – doch ihnen fehlt es an Akzeptanz.
Ein Witz bringt es auf den Punkt: "In iranischen Messengern gibt es drei Häkchen – eines für den Sender, eines für den Empfänger und eines für den Dritten, der alles mitliest." Viele Iranerinnen und Iraner verzichten lieber tagelang auf den Kontakt zu ihren Liebsten, als diese Dienste zu nutzen. Selbst als die Regierung am 19. Juni ankündigte, auch ausländische Nummern zur Anmeldung zuzulassen, um Iranern im Ausland die Kommunikation mit ihren Familien zu ermöglichen, nahmen nur wenige das Angebot an.