
Der Text ist top, das Bild ein Blob
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Kyle Bartley, Verteidiger beim englischen Fußball-Zweitligisten West Bromwich Albion, ist eine Wikipedia-Legende. Sein Name taucht immer dann auf, wenn es darum geht, den Eintrag mit dem schlechtesten Bild in der gesamten Onlineenzyklopädie zu küren. Ein kurzer Besuch auf seinem Wiki-Eintrag und man sieht, weshalb: Auf dem Foto sieht es aus, als würde Bartley am Mittelfinger eines Gegenspielers lutschen. Es ist eine stark herangezoomte Szene aus einem Zweikampf, aufgenommen vor fast 15 Jahren. Man darf sich fragen: Gibt es wirklich kein besseres Foto von einem Fußballprofi, der mehr als 400 Spiele in den Beinen hat?
Eine Google-Suche zeigt: Natürlich existieren auch andere, vorteilhaftere Fotos von Bartley – aber die darf die Wikipedia nicht nutzen, weil sie nicht frei verfügbar sind. Aus diesem Grund haben selbst Menschen, die ihr Geld damit verdienen, vor Kameras gut auszusehen, oft erstaunlich mittelmäßige Wikipedia-Fotos. Die deutsche Wikipedia-Seite von Hayden Christensen etwa zeigt den Star-Wars-Darsteller mit seltsam gekrümmtem Hals und Augenringen. Das Profil des Comedians Andy Richter krönt ein Ausschnitt aus einem Auftritt auf einer Konferenz, und das aktuelle Foto von Macaulay Culkin wurde vor zehn Jahren bei einem Konzert seiner Band aufgenommen, inklusive Sonnenbrille und Schleifchen-Haarreif. Der Instagram-Account Bad Wikipedia Photos enthält noch mehr Beispiele, die zeigen, dass die Qualität der Fotos in der Wikipedia nicht immer mit der Qualität der Informationen mithalten kann.
Eine Gruppe von Wikipedianerinnen und Wikipedianern will das ändern. Sie haben vergangenes Jahr das Projekt WikiPortraits ins Leben gerufen. Das Ziel: Die Wikipedia soll schöner werden. Der Plan: WikiPortraits schickt Fotografinnen und Fotografen, teils Profis, teils ambitionierte Amateure, aus der Community auf Veranstaltungen, um direkt vor Ort anständige Fotos der Teilnehmenden zu machen und somit nach und nach eine qualitativ hochwertige Bilddatenbank aufzubauen. Inzwischen sollen bereits mehr als 1.500 Fotos von WikiPortraits in der Enzyklopädie zu finden sein, heißt es.
Harald Krichel hat einige davon beigesteuert. Zwischen 2009 und 2020 saß er, mit kurzer Unterbrechung, im Aufsichtsgremium der Wikimedia Deutschland, dem deutschen Ableger der gemeinnützigen Stiftung, die hinter der Wikipedia steckt. Inzwischen arbeitet er als selbstständiger Fotograf. Als er vergangenes Jahr von WikiPortraits gefragt wurde, ob er mitmachen wolle, habe er nicht lange gezögert, sagt er. Zumal er mit der deutschen Wikimedia dem Projekt sogar einen Schritt voraus war.
Wieso sind viele Wikipedia-Bilder so schlecht?
"Wir haben in Deutschland schon 2013 damit begonnen, professionellere Fotos für die Wikipedia aufzunehmen, unter anderem von Künstlern und Bands im Rahmen des Festivalsommers, aber auch von Abgeordneten in Länder- und Europaparlamenten", sagt Krichel im Gespräch mit . Nach und nach seien die Fotos immer besser geworden, sodass heute manche deutsche Wikipedia-Beiträge bessere Fotos enthielten als die englischen.
Es gibt verschiedene Gründe, weshalb Fotos in der Wikipedia teils unscharf, unterbelichtet oder unvorteilhaft sind. In vielen Fällen gibt es schlicht nicht genug Material, etwa weil die Person schon lange verstorben ist. Andere Menschen, zum Beispiel Forscherinnen und Forscher, stehen selten vor der Kamera, weshalb man bei ihnen häufig Schnappschüsse von Fachkonferenzen vorfindet. Sportlerinnen und Sportler werden meist bei vollem Körpereinsatz abgelichtet und Bands oft während Konzerten von Fans fotografiert, die weder den besten Blickwinkel noch das beste Equipment haben.
Dazu kommt, dass alle Bilder in Wikimedia Commons, die mit der Wikipedia verknüpften Mediensammlung, unter einer freien Lizenz veröffentlicht werden müssen. Sie dürfen anschließend kostenlos verwendet werden, was aber auch bedeutet, dass die Urheber kein Geld bekommen. Viele professionelle Fotografinnen und Fotografen, die für Bildagenturen tätig sind, laden ihre Werke womöglich deshalb nicht hoch. Oder sie haben keine Zeit oder Lust, sich mit der Thematik auseinanderzusetzen.
Und was ist mit den Betroffenen selbst? Die Wikipedia steht schließlich jedem offen und theoretisch könnte jeder Schauspieler, jede Sängerin und jeder DAX-Vorstand ein gutes Bild von sich hochladen oder jemanden damit beauftragen. Wieso passiert das nicht? "Es scheitert oft daran, von den Fotografen nachträglich die erforderlichen Lizenzen einzuholen", sagt Harald Krichel. Deshalb landen offizielle Porträtaufnahmen selten in der Wikipedia, obwohl die Protagonisten es in den meisten Fällen sogar begrüßen würden.