
Autonom für Anfänger
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Der Mann aus Dänemark hat schon einen roten Kopf. Man solle seiner Frau bitte nicht erzählen, dass das alles kein Zufall sei. Der Jahresurlaub in Texas, die drei Wochen. Auch, dass er jetzt an dieser vierspurigen Straße in Austin steht, bei 38 Grad. Das weiße Schild verrät, warum er hier ist. "Tesla Fan" steht darauf in Großbuchstaben. "Suche nach Mitfahrgelegenheit".
Der Däne hält Ausschau nach einem der rund 30 selbstfahrenden Robotaxis, die Elon Musk an diesem Sonntag erstmals in der texanischen Hauptstadt auf die Straßen schicken will, nach jahrelangen Verzögerungen. Wenn es nach dem Tesla-Chef geht, sollen bald Hunderttausende autonome Tesla-Autos Menschen durch die Städte kutschieren.
Dabei geht es für Musk und Tesla beim Start des Robotaxi-Dienstes in Austin um alles. Der Autobauer steht unter Druck – wegen starker Konkurrenz aus China, aber auch aufgrund der politischen Eskapaden des eigenen CEOs. Tesla verkauft immer weniger Fahrzeuge, obwohl der Markt für E-Autos boomt. In der Europäischen Union verkauft der Konzern in diesem Jahr nur gut halb so viele Autos wie im Jahr zuvor. Tesla, das sich als Pionier schicker Elektroautos einen Namen gemacht hat, braucht dringend eine neue Story.
Mit mehr als einer Billion Dollar Börsenwert ist Tesla zwar immer noch der mit Abstand wertvollste Autokonzern der Welt – zwanzigmal wertvoller als der Volkswagen-Konzern, der im ersten Quartal 2025 mehr als sechsmal so viele Autos wie Tesla verkauft hat. Doch ein großer Teil von Teslas Bewertung beruht auf einer großen Hoffnung: dass das Unternehmen schon bald sein Geschäft mit dem mühsamen Autobauen hinter sich lassen kann und das große Geld mit humanoiden Robotern und selbstfahrenden Autos verdient. Schon 2022 sagte Elon Musk selbst: Ohne die Technologie sei Tesla "im Grunde nichts wert".
Musks Problem ist: Die Konkurrenz ist mittlerweile viel weiter. In Austin muss der Tesla-CEO nun beweisen, dass er die Robotaxis nicht unausgereift auf die Straße geschickt hat, weil Investoren ihn unter Druck setzen – sondern dass die autonom fahrenden Autos wirklich mithalten können.
Elon Musk und das ewige Versprechen vom autonomen Fahren
An dem Dänen fährt in Austin erst einmal nur die Konkurrenz vorbei. Etliche weiße SUVs der Google-Tochter Waymo, gut zu erkennen an dem großen Laser-Sensor auf dem Dach. Sie halten an, lassen Fahrgäste ein- und aussteigen, beschleunigen, verschwinden wieder. Eine Propellermaschine fliegt über der Stadt. Auf dem Banner, das das Flugzeug hinter sich herzieht, steht in Rot: "Rettet Tesla, feuert Musk".
Dann taucht das Objekt der Begierde plötzlich an einer Ampel neben dem Dänen auf. Ein roter Tesla, Model Y. Auf dem Fahrersitz: niemand. Auf dem Beifahrersitz: ein Tesla-Mitarbeiter. Als die Ampel auf Grün schaltet, dreht sich das Lenkrad wie von Geisterhand, das Robotaxi gleitet davon – und ignoriert den Dänen, der extra über den Atlantik geflogen ist, nur um einmal mitfahren zu dürfen.
Die Szene wirkt an diesem Sommertag symbolisch für das Warten, das Tesla seinen Kunden seit Jahren zumutet. Schon lange arbeitet der E-Auto-Hersteller an Systemen, die Autos autonom fahren lassen sollen. Für seine Kunden bietet der Konzern mit dem sogenannten Autopiloten und Full-Self-Driving (FSD) auch schon Fahrerassistenzsysteme an. Der Mensch trägt während der Fahrt nach wie vor die Verantwortung. Das Ziel aber sind autonom fahrende Fahrzeuge, die keinen Menschen mehr brauchen.
Immer wieder behauptete Musk, die Robotaxi-Technologie sei so gut wie einsatzbereit. Schon 2017 sollten Tesla-Autos selbstständig von Los Angeles nach New York fahren können. Auch 2019 war sich Musk sicher: Jetzt ist es soweit. Dann 2020. 2021. Und in den Jahren darauf. Es gibt eine eigene Wikipedia-Seite, die seine Versprechen auflistet.
Das neueste lautet: Spätestens Ende 2026 sollen Hunderttausende autonom fahrende Tesla auf den Straßen unterwegs sein, ausgestattet mit einer Weiterentwicklung des FSD-Fahrerassistenzsystems. Dadurch sollen auch handelsübliche Teslas, die heute schon in Betrieb sind, per Software-Update zu autonomen Autos aufgerüstet werden können. Ein Teil der Flotte soll dabei aus speziell entwickelte Cybercabs ohne Lenkrad und Pedale bestehen. Ein Konzeptfahrzeug präsentierte Musk im vergangenen Oktober. Der Tesla-CEO stellt sich den künftigen Robo-Fahrdienst wie eine Mischung aus Uber und Airbnb vor. Auch Privatbesitzer eines Teslas sollen ihre Fahrzeuge in die Flotte geben und damit Geld verdienen können – dann, wenn sie etwa schlafen oder im Büro sind.